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Genosse. Jude. – neue Ausstellung im Jüdischen Museum Wien

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„Wir wollten nur das Paradies auf Erden“

Das Jahr 2017 war in Österreich das große Jubiläumsjahr von Kaiserin Maria Theresia – zahlreiche Ausstellungen fanden zu Ehren der großen Regentin statt. 2017 jährt sich jedoch auch zum 100. Mal ein Ereignis, das – je nach politischer Gesinnung – gefeiert oder kritisch betrachtet wird: 1917 blickte die Welt nach Russland, wo die jahrhundertelange Herrschaft der Zarenfamilie gewaltsam beendet wurde und die kommunistische Idee der Arbeiterbewegung ein völlig neues Staatssystem ins Leben rief, in dem alle gleichberechtigt sein sollten. Unzählige jüdische Kommunisten waren direkt und indirekt in diesen Umbruch involviert. Die neue Ausstellung „Genosse. Jude.“ im Jüdischen Museum in der Dorotheergasse in Wien beleuchtet die geschichtlichen Ereignisse allgemein, in der Sowjetunion und in Österreich, beginnend mit dem Exil Leo Trotzkis in Wien noch vor der Oktoberrevolution und endend mit dem Untergang der Sowjetunion.

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„Alle Macht den Sowjets. Frieden, Land und Brot“

Dieses Motto begeisterte auch viele Juden. Verständlich, wenn man auf die Geschichte dieses Volkes blickt – Verfolgung und Diskriminierung waren in den verschiedenen Epochen oftmals Normalität. Im zaristischen Russland lebten mehr als fünf Millionen Juden. Ihr Leben war von wirtschaftlichem Elend, restriktiven Gesetzen und Pogromen bestimmt. Politisch aktive Juden der Arbeiterbewegung wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom zaristischen Regime verfolgt, verhaftet und nach Sibirien in die Verbannung geschickt. Einige flüchteten über die Grenze in den Westen. Neben Zürich, Paris und Berlin war Wien ein wichtiger Zufluchtsort.

In Russland war die Hoffnung groß, dass die Revolution dem Antisemitismus des Zarenreichs ein Ende setzen würde. Weltweit und auch in Österreich kämpften Juden für die Gleichstellung aller Menschen. Sie alle träumten vom Paradies auf Erden. Dabei entstanden enge Beziehungen zwischen österreichischen und russischen Marxisten. Oft waren es jüdische Kommunisten, die zwischen diesen beiden Welten vermittelten.

Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang

Viele bedeutende Vertreter der Arbeiterbewegung waren keine Juden. Die meisten Juden waren auch keine Revolutionäre, Sozialisten oder Kommunisten. Und dennoch trugen Juden und Jüdinnen verstärkt zur Entwicklung des Sozialismus bei. Gründerfiguren wie Karl Marx, Viktor Adler, Rosa Luxemburg und Leo Trotzki wurden zu Ikonen der internationalen Arbeiterbewegung. Ihre jüdischen Wurzeln waren dabei kein Thema. Antisemitismus war für sie ein Symptom des Kapitalismus und würde in einer klassenlosen Gesellschaft nicht mehr existieren.

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Stalinistischer Terror

Die anfänglich positive Entwicklung änderte sich jedoch. In den 1930er-Jahren verschärfte sich in der Sowjetunion das gesellschaftliche und politische Klima. Der Personenkult um Stalin nahm groteske Ausmaße an. Zahlreiche Sowjetbürger gerieten in die Fänge des Sicherheitsdienstes, weil sie sich vor der Oktoberrevolution in anderen Parteien organisiert hatten, weil sie Kontakte ins Ausland pflegten oder weil sie im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten. Viele sowjetische Juden waren vor 1917 in jüdischen Arbeiterbewegungen engagiert gewesen, hatten familiäre Beziehungen ins Ausland. Allein aus diesen Gründen fielen sie häufig den Repressionen zum Opfer.

Mit dem Angriff Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion wurden aus taktischen Gründen die politischen Repressionen zum Teil zurückgenommen. Nach dem 2. Weltkrieg blieben jüdische Sowjets dennoch Bürger zweiter Klasse. So entschieden sich einige bewusst für die Auswanderung. Nach Jahrzehnten der kommunistischen Erziehung ohne Bindung an Religion und nationale Herkunft machten sich viele Anfang der 1970er-Jahre auf die Suche nach ihrer verlorenen jüdischen Kultur und Tradition.

 

Mein Fazit: Eine interessante Ausstellung zu einem bei uns allgemein weniger beachteten Thema. Zahlreiche Video- und Audiostationen mit originalen Filmdokumenten oder Aufnahmen von Ansprachen aus den 1920er- und 1930er-Jahren versetzen in die Jahre des Umbruchs zurück, viele beeindruckende Ausstellungsstücke unterstreichen die Intensität der damaligen Propagandapolitik und vermitteln die Hoffnungen und Skepsis der Menschen. Die kompakten und gut verständlichen Begleittexte, sowie die ansprechenden Biographien jüdischer Aktivisten und Persönlichkeiten jener Zeit vervollständigen die rundum gelungene Schau. Sehenswert!

 

© Jüdisches Museum Wien.Philipp Kreidl

Genosse.Jude.
Wir wollten nur das Paradies auf Erden
bis 1. Mai 2018 im

Jüdischen Museum Wien
Dorotheergasse 11, 1010 Wien

Geöffnet:
Sonntag bis Freitag, jeweils von 10.00 – 18.00 Uhr, Samstag geschlossen.

 

Eintrittspreise:
Erwachsene: € 12,00
Ermäßigter Eintritt (Senioren ab 65 Jahren, Ö1-Clubmitglieder, Wien Holding Mitarbeiter, u.v.m.): € 10,00
Studierende bis 27 Jahre: € 8,00
Für Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ist der Eintritt frei.

Weitere Informationen finden Sie HIER.

 

Daten- und Bildquellen: © Jüdisches Museum Wien, www.jmw.at
Mit bestem Dank für die freundliche Unterstützung.

 



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